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Auschwitz für jeden Geschmack

Michael Vogler, Siegfried Zielinski - Konkret 05/81, S. 48

Danach glaubt man vielleicht ein KZ zu kennen, aber man kennt nur die synthetischen KZs aus "Holocaust", »Spiel um Zeit« und so weiter. Vor die Wirklichkeit schiebt sich künstliche, montierte, abgemischte und durchkonstruierte Darstellung.

WIE hätten Sie's denn gerne, Ihr Auschwitz? Als strahlende Familien-Serie im Design des TV-"Holocaust" oder lieber als halbdunkles Melodrama um eine Künstlerin wie in »Spiel um Zeit« vom ARD-Konkurrenten ZDF? Als dokumentarischen Kompilations-Film wie »Der gelbe Stern« der West-Berliner Chronos-Produktion oder lieber als Bericht derjenigen, die es erleiden mußten und überleben konnten, wie in »Zeugen - Aussagen zum Mord an einem Volk« (ARD)? Oder gehören Sie etwa zu denen, die sich prinzipiell der Glotzkiste verweigern? Dann können Sie Auschwitz gegenwärtig auch in unterschiedlichen Variationen auf dem Theater haben. Ganz zu schweigen vom Buchmarkt. Für die Freunde des Gedruckten haben US-amerikanische Verlage bereits eine solche Vielzahl aktueller Titel parat, daß sie das Magazin »Time« gar nicht mehr alle in einem einzigen Überblick darzustellen vermochte. Macht euch an die Übersetzungen, ihr deutschen Großverleger! Schlagt euch um die Lizenzen, solange die aufgerissenen Wunden noch bluten!
Das Angebot ist vielfältig zur Zeit. Es ist fast für jeden Geschmack und für jedes Bedürfnis etwas dabei. Fast. Denn jene, die nach dem Millionen-Ereignis "Holocaust" vor gut zwei Jahren mehr sehen und hören wollten über die Wirklichkeit des faschistischen Massenmordes, über seine Ursachen und Motive, über seine Träger, Verteidiger, Organisatoren, Aktivisten und stummen Dulder, aber auch über seine Widerständler, blieben und bleiben merkwürdig unbeliefert. Und dabei waren es nicht wenige, die Fragen in diese Richtung stellten. In Tausenden von Telefonanrufen, Briefen, bei Diskussionen in Schulen, Jugend-Zentren, Senioren-Klubs oder Gewerkschafts-Gruppen.
Ihre Bedürfnisse nach Erklärung des schwer Faßbaren, nach Orientierungs-Hilfen für die Geschichte, sowie nach Anregungen, wie eine Wiederholung verhinderbar ist, wurden und werden nicht befriedigt, ja offensichtlich nicht einmal zur Kenntnis genommen. Zumindest nicht von den großen finanzstarken und elektronischen Medien, die ihre Produkte immer mit einem Auge auf den internationalen Markt und dem anderen auf die, im gesellschaftlichen Durchschnitt darstellbare Einschaltquote schielend herstellen.
Dabei wurde das Fernseh-Spektakel "Holocaust" gerade mit dem Argument verteidigt - im übrigen auch von einem Großteil der Linken in unserem Land -, daß es den faschistischen Massenmord enttabuisiert habe, ihn als Gegenstand der Auseinandersetzung für die sogenannte breite Bevölkerung überhaupt erst einmal zugänglich gemacht habe, kurz: daß es als Aufreißer und Initiator einer weitergehenden, auch tiefergreifenderen Auseinandersetzung notwendig und nützlich gewesen sei.
Zweifellos: Enttabuisiert wurde der historische Holocaust mittlerweile. Der internationale Kommunikationsmarkt hat offensichtlich jegliche Hemmungen verloren, was die Abbilder faschistischer Grausamkeit betrifft. Die Markt-Forscher der Medienindustrie haben fleißig gearbeitet und waren erfolgreich. Das historische Ereignis wird nun häppchenweise, spezialisiert auf einzelne Konsumenten-Gruppen, angeboten. Dieser Vorgang ist doppeldeutig. Er brachte eine Reihe ernsthafte Versuche hervor, Aspekte faschistischen Wahnsinns begreiflicher zu machen. Er bewirkte aber auch eine skrupellose Inflation, in der mit dem Grauen der Arbeits- und Vernichtungslager harte Geschäfte betrieben werden.
Was Alain Resnais vor mehr als 25 Jahren noch zu einer eindringlichen Montage verarbeitet hat, die die Zuschauer vor allem auch zwang, über ihr eigenes Verhältnis zu Auschwitz nachzudenken, kann 1981 bereits als Touristen-Attraktion im Stil einer Foto-Safari visualisiert werden. Der »Stern« schickte einen seiner Star-Fotografen in das berüchtigste aller faschistischen Mord-Lager und ließ ihn alle Künste der Weichzeichnung und Farb-Filterung anwenden; um seinem Millionen-Publikum Bilder zum An-die-Wand-Pinnen liefern, zu können: Auschwitz als' stilisierter Werbe-Prospekt. Als Kontrast zu den Vierfarb-Kunstwerken wurden jeweils klitzekleine Dokumentar-Fotos auf den würdigen schwarzen Trauer-Rand der doppelseitigen Bilder gedruckt' Von hier aus ist es nicht mehr allzu weit bis. zur Unternehmung jenes geschäftstüchtigen Briten, der für fette Wohlstands-Bürger Abenteuer-Wochenenden in Gefangenen-Lagern anbietet, und deren lukrativer Adaption auf deutscher KZ-Basis.
Ohne die Publikums-Zahlen zu kennen, handelte das illustrierte Magazin auf der Titel-Seite derselben Nummer bereits mit »Millionen«, welche das »Spiel um Zeit«, die Film-Fassung von »Das Mädchenorchester von Auschwitz«, vorgeblich gesehen haben. Tatsächlich waren es weit weniger als bei "Holocaust" vor zwei Jahren. Etwa ein Viertel ergötzte sich lieber bei. Eiskunstlaufen und »Report«. Und immerhin noch 23 Prozent schalteten später nicht um auf die Ansichten vom Todeslager, sondern guckten den Krimi »Tödlicher Trick«.
Wir wollen den Versuch machen zu beurteilen, -ob und für wen die Inszenierung von Auschwitz am Beispiel von »Spiel um Zeit« etwas gebracht hat.
Im Mittelpunkt des Fernsehfilms steht die französische Chansonsängerin Fania Fénelon, die wegen ihrer Mitarbeit in der Resistance deportiert wurde. Doch sie spart der Film aus. Und auch die Torturen des normalen Häftlingsalltags werden nur minutenlang ins Bild gesetzt. Denn nur so lange ist die Fénelon im Film ein Häftling wie jeder andere. Danach kommt sie in die relativ bessergestellte Situation eines Mitglieds des Frauenorchesters. Von da an bis zur Befreiung durch die Briten -- in Wahrheit war es die Rote Armee, aber das zuzugeben wäre ja in Kalten-Kriegs-Zeiten noch schöner - konzentriert sich das Geschehen auf diese Sondersituation.
Das Repertoire der Truppe: zackige Märsche für die Opfer und abends Sentimentales für die Henker von der Schnulze bis zur Symphonie. Gestritten wird darüber, wie weit man seine Darbietungen perfektionieren darf, um zu überleben. Man zankt sich und katzbuckelt vor der SS. Wieviel Unterwürfigkeit ist erlaubt, wieviel künstlerische Perfektion vertretbar, wieviel Widerstand möglich? Probleme, die auch bei Zadek / Fallada, »Lili Marleen« und »Mephisto« verwertet oder verarbeitet werden. Hier nun im KZ. Ist es nicht auffällig und symptomatisch, daß immer wieder auf Künstler und Kulturprominenz zurückgegriffen wird bei den Sujets über den Faschismus? Wer, wenn nicht der Bildungsbürger, ist im Visier, wenn mit solchen Überhöhungen in »geistige« Leiden Erfahrungen mit dem Faschismus erst salonfähig gemacht werden müssen?
Das unscheinbare tagtägliche Überleben und Sterben, das Sich-zum-Tode-Arbeiten für Siemens, IG Farben und Co, scheint dagegen nicht so attraktiv zu sein. Erlebte Schrecken gelten nur etwas, wenn sie in die Kategorie »künstlerisch besonders wertvoll« passen, wenn es dabei kreativ und kulturvoll zugeht.
Dabei sind unsere Ahnungen und Vorstellungen vom kleinen gewöhnlichen Draufgehen im Lagerbetrieb, von gegenseitiger Gewalt, Selbstaufgabe und von den Gesten der Solidarität noch so unentwickelt. Das braucht keine großen Geister, nichts Spektakuläres, Geniehaftes oder Glitzerndes. Nur aus der Perspektive der milchig beschlagenen Barackenfenster tauchen im Film schmutzige, brutale Ansichten vom KZ auf. Gleichsam aus der Ferne, in Totalen sieht man, wie Kinder ihren Müttern fortgerissen werden, Menschen im Schlamm wühlen, Gräben ausschaufeln. Einen rationalen, gar ökonomisch-politischen Zweck hinter dieser Geschäftigkeit sieht man nicht. Hier bleiben Täter wie Opfer anonymes Element der Kulisse.
Identität gewinnen hingegen die SS-Leute. Und da ist alles sorgsam vermieden, was die Henker abstoßend machen könnte. Mengele in Uruguay oder sonstwo muß sich ins Fäustchen gelacht haben, wenn er sah, wie man ihn per Fernsehexport weltweit rehabilitiert.
Man habe schließlich die SS-Leute nicht als Monster zeigen wollen, sondern vielmehr den Widerspruch zwischen ihrer ästhetischen Feinsinnigkeit und der Mordmaschinerie. So wahrscheinlich die Argumentation. Aber die andere Seite des Widerspruchs, das bürokratisch durchorganisierte, fabrikmäßige Morden, fällt eben aus. Übrig bleibt Mengele als schöngeistiger Kulturmäzen, der der jüdischen Orchesterchefin gar ob ihrer Verdienste für das Gleichgewicht im SS-Gefühlshaushalt ein Sonderbegräbnis beschert. Übrig bleibt Maria Mandel als triefäugige blonde Lagerleiterin in schwarz-glänzender SS-Kluft, die höchstpersönlich passende Schuhe für die Fénelon besorgt und sie ihr mit fetischistischen Untertönen genußvoll über die Füße streift. Rührend traurige Figuren mit gespaltener Identität. Kann man sie überhaupt zur Rechenschaft ziehen für das, was sie tun? Vielleicht waren auch die Lächert und die Braunsteiner in Majdanek, die Kinder eigenhändig wie Abfall auf die Lastwagen warfen, nur bemitleidenswerte Psychofälle. Oder handelt es sich vielleicht nur um die gleiche Anordnung von austauschbaren Versatzstücken? Vom Good Guy und Bad Guy zum Good-Bad Guy und Bad-Good Guy.
Ausgehend von der Publikumszusammensetzung der Fernseh-Märkte werden Typen und Figuren geschaffen, die vor allem niemanden verärgern dürfen. Die Emotionalisierung ist durchkalkuliert in wohldosierten Spannungsbögen. In Wallung bringen ja, aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Dann sind wieder Elemente einzubauen, die beruhigen, zufriedenstellen, ausgleichen. Längst hat man in computerkontrollierten Previews durchgetestet, wie die bekannten Serienstereotypen modifiziert werden müssen. Brüche und Widersprüche der früher monolithischen Charaktere werden genauso eingeschoben wie politisch soziale Konfliktsplitter. Auf Logik und Zusammensetzung der verschiedenen Elemente kommt es nicht an. Das Ergebnis ist eine Mehrdeutigkeit, bei der die Widersprüche abgehoben bleiben von gesellschaftlichen Bedingungen und in die Psyche der Charaktere verlagert werden. In jedem ein Dämon, in jedem ein Gott. In jedem ein Hitler, in jedem ein Jude. In jedem ein Antisemit.
Zurück zur Wirklichkeit des KZ und der Unwirklichkeit filmischer Inszenierversuche. Es sind die Schrecken der Oberfläche, die hier - zum wievielten Male eigentlich? - im Verhältnis 1:1 nachgebaut und zelebriert werden sollen. Schrecken, wie sie in Bildern von Baracken, Schlamm, Holzpritschen und kahlrasierten Komparsen eben sichtbar zu machen sind. Doch was vermögen die dunkel gefilterten Himmel und die in Pastelltöne von Ektachrome getauchten Außenansichten des Geländes wiederzugeben von der stückweisen Entmenschlichung? Selbst die dazwischengeschnittenen Dokumentarfilmfetzen sind der Dramaturgie von PAL-Color unterworfen. Ein Schleier von fahlem Rot ist über die Bilder gefiltert als Kontrast zum blauschwarzen Dunkel der KZ-Interieurs. Aufgebrochen wird die dumpfe Monochromie der Barackenhöhlen allerdings immer dann, wenn das Frauenorchester für die SS-Prominenz aufspielt. Dann hebt das Licht die Konturen der verzückten Herrenkulturmenschen hervor, wie es einst Leni Riefenstahl nicht besser schaffte * Dann spielen Reflexe auf den Uniformen, setzen sich SS-Hautfarben kräftig ab gegen das kalkige Weiß der Häftlingsgesichter.
Über unsere Ahnungen vom wirklichen KZ, über die Erinnerungen an das dokumentarische Material schiebt sich künstliche, montierte, abgemischte und durchkonstruierte Darstellung. Danach glaubt man vielleicht ein KZ zu kennen, aber man kennt letztlich nur die synthetischen KZs aus "Holocaust", »Spiel um Zeit« und so weiter. Es ist das am Reißbrett entworfene, zu neuerlichem Geschäft und Verwertung gemachte KZ. Es ist eines der Versatzstücke im Werbekatalog der emsigen Produzenten, die mit Zuschauerzahlen und Exportquoten handeln.

WERBESPOT ZWISCHEN LEICHENBERGEN
Das KZ als Szenerie wird genauso zum Element der Verkaufsstrategie wie der Bericht der Augenzeugin, der honorige Dramatiker als Drehbuchautor, die Proteste der jüdischen Verbände gegen die Besetzung der Hauptrolle mit einer PLO-Sympathisantin.
»Spiel um Zeit« ist ein weiterer erfolgreicher Versuch, Auschwitz völlig von unserer Gegenwart zu isolieren, es in sich selbst zur Ruhe zu bringen. Dies regt nicht zuletzt deshalb auf, weil das Produkt aus den Fabriken jenes Landes kommt, in dem zur Zeit einige starke Männer besonders leichtfertig mit dem Finger am Abzug spielen und Menschenleben wieder einmal bestenfalls als statistisch-strategische Größen gehandelt werden.
Aber auch ein anderer Aspekt sollte bei der Beurteilung des neuerlichen US-amerikanischen Medien-Spektakels nicht mißachtet oder geringgeschätzt werden: der medienpolitische. Filmemacher der Bundesrepublik, die sich in ihrer Arbeit kritisch mit den Phänomenen des Alt- und Neu-Faschismus auseinandersetzen, wurden in der Nach-"Holocaust"-Ära immer wieder mit dem Hinweis abgewiesen, es gäbe vorerst kein Bedürfnis nach solchen Vermittlungen. Entwürfe wurden erst gar nicht angenommen, fertige Produkte auf Eis gelegt. So zum Beispiel das Feature von Paul Karalus »Reaktionen auf Holocaust«, das seit eineinhalb Jahren angekündigt wurde und nun - wahrlich ein Glanzstück von Programmplanung - teilweise parallel zu »Spiel um Zeit« im Dritten Programm des WDR ausgestrahlt wurde. Andere die Auseinandersetzung um den Faschismus und seine mörderischen Verbrechen vorantreibende Produktionen wurden wie heiße Kartoffeln behandelt, irgendwo im Programm-Abseits versteckt und vor allem ohne publizistische Begleitung auf die Zuschauer losgelassen.

DAS KZ ALS ELEMENT DER VERKAUFSSTRATEGIE
Der Vorwurf ist auch gegen Teile der publizistischen Linken in unserer Republik zu richten. Sie scheint sich ebenfalls vor allem um Faschismus-Darstellungen zu kümmern, wenn sie mit dem Markenzeichen eines Faßbinder oder Zadek versehen sind, oder eben aus den Alptraumfabriken der USA kommen. Dabei müßte längst klar geworden sein, daß weitergehende Wirkungen nicht von Fernseh- oder Kino-Programmen allein organisiert werden. Dies wurde gerade jetzt wieder am Beispiel »Der gelbe Stern« überdeutlich. Die Kompilation von großenteils sattsam bekannten Dokumenten wäre sicher kaum beachtet in den Angeboten der Bildungszentralen verschwunden, wäre das Produkt nicht im Umkreis der Berliner Filmfestspiele öffentlichkeitswirksam lanciert worden. Der Skandal um die verweigerte finanzielle Unterstützung durch den garskigen Senat und die Nominierung für einen Oskar taten ein übriges. Der abendfüllende Dokumentarfilm erfährt nun doch eine recht breite Rezeption und öffentliche Aufmerksamkeit.
Mit beiden Produktionen, sowohl dem »Spiel um Zeit« als auch auf dokumentarischer Ebene dem »Gelben Stern«, wird der Zugang zum Publikum wieder für geraume Zeit versperrt sein, was die Auseinandersetzung mit den Gewaltverbrechen des Faschismus betrifft. Wahrscheinlich bis zur nächsten vielleicht deutsch-amerikanischen Gemeinschafts-Produktion. Der Einfachkeit halber sollte damit aber besser noch gewartet werden, bis auch wir den Segen des Profit-Fernsehens genießen können. Dann ist die deutsche Bearbeitung leichter und kostensparender. Die Werbespots zwischen den Leichenbergen brauchten nur durch entsprechende Reklame für deutsche Produkte ersetzt zu werden.