/ holocaust mit k - holocaust /

Holocaust ist kein Geschäft mehr

Friedrich Knilli, Siegfried Zielinski - Konkret 11/82, S. 90

Diesen Monat wird die US-Fernsehserie "Holocaust" wiederholt. Nicht wiederholen wird sich jedoch das Medienereignis, das bei der Erstsendung die Nation in Wallung brachte.


Holocaust, die amerikanische Fernsehserie zum deutschen Massenmord an sechs Millionen europäischer Juden, wird wiederholt: im Ersten Programm, zu den besten Sendezeiten und eingebaut in die christliche Feiertagsmystik: am Volkstrauertag der erste Teil ("Die hereinbrechende Dunkelheit "Holocaust wird wiederholt", erklärt Heinz Werner Hübner, Programmdirektor des Westdeutschen Fernsehens, "weil es der Wunsch vieler Zuschauer ist. Die einen wollen sich erinnern, die anderen Versäumtes nachholen. Der Film wird wiederholt, weil er bei allen Mängeln ein Jahrzehnt deutscher Vergangenheit anschaubar macht... Holocaust wird wiederholt, weil es ein deutsches Thema ist. Und deshalb wird der Film - im Gegensatz zur Erstausstrahlung - im Gemeinschaftsprogramm wiederholt."
Als 1979 die Geschichte der beiden Berliner Familien zum ersten Mal über die zusammengeschalteten Dritten Programme lief, schien es, als sei Auschwitz zum ersten Mal inszeniert worden. Ein Stück US-amerikanischer Kitsch erreichte, was Hunderte von TV-Kunstwerken, Tausende von Buchseiten, Theaterstücke und Dokumentationen nicht geschafft hatten: heiße Diskussionen in Küchen und Klassenzimmern, in Büros und an den Werkbänken und natürlich auch in den privaten und öffentlich-rechtlichen Meinungsfabriken - 34 Jahre nach Auschwitz.
Zwei Faktoren waren für diese massenhafte Betroffenheit ausschlaggebend. Zum einen die Dramaturgie dieser Unterhaltungsware: Mit den beiden Familien-Stories der jüdischen Opfer auf der einen Seite und der arisch-nazistischen Täter auf der anderen wurde eine Vielfalt an Identifikationsfiguren angeboten. Bis in die einzelnen Kameraeinstellungen hinein präsentierte "Holocaust" den faschistischen Massenmord: mal aus der Sicht der Schlächter, mal aus der Sicht der Kälber. Der widerständige Priester fehlte ebensowenig wie die Mitläufer, passiven Beobachter oder kleinen Täter. Sogar Figuren waren enthalten, die andeuteten, daß es Opfer nicht nur auf der Seite der Juden gegeben hatte, sondern daß auch Politische, Schwule oder Zigeuner gequält und umgebracht wurden.
Zweiter Erfolgsfaktor war zweifellos das bis dahin einzigartige Marketing für eine Fernsehsendung. 'Von der Uraufführung in den USA bis zur Erstausstrahlung in der Bundesrepublik, neun Monate lang war Holocaust Thema Nummer Eins. Wobei die spektakulären Höhepunkte die jeweiligen Ausstrahlungen in England, in Belgien und vor allem in Israel waren, die der bundesdeutschen vorausgingen. Es gab Radio- und sogar eigens produzierte Fernsehsendungen, die auf das Ereignis vorbereiten sollten. Programmzeitschriften kündigten das Produkt als die "umstrittenste Fernsehserie aller Zeiten" an. Regierungs- und Oppositionspolitiker griffen in die veröffentlichte Diskussion ein. Sondernummern von Zeitschriften entstanden. In pädagogischen Einrichtungen wurde hektische Betriebsamkeit entfaltet. Und die Bombenanschläge neuer Nazis auf zwei Sendemasten der ARD einige Tage vor der Sendung taten ein übriges zur Promotion.
Das Ergebnis- Die dritten Programme erzielten einen großen Publikumserfolg. Zwar steht das Land, in dem das faschistische Erbe wesentlich verwaltet wird, mit seinen Einschaltquoten lediglich an siebzehnter Stelle aller 32 Nationen, die Holocaust bisher ausgestrahlt haben, und damit noch hinter Peru, Neuseeland oder Equador. Aber das Publikum entsprach so gar nicht dem sonst meist elitären der dritten Kanäle. Alte wie Junge sahen zu, Soldaten, Widerstandskämpfer oder Mitläufer, SS-Leute und auch viele Juden. Und sie gerieten über die Serie aneinander.
Zwar wurde Karl Carstens trotzdem zum Bundespräsidenten gewählt. Aber die Entscheidung des Bundestages gegen die Verjährung von Mord fiel deutlich unter dem Eindruck der Holocaust-Diskussion. Mit den Sinti und Schwulen meldeten sich auch andere geschundene Minderheiten zum ersten Mal zu Wort. In vielen Städten und Regionen wurde die Spurensicherung zum faschistischen Alltag verstärkt oder gar ganz neu aufgenommen. Das Defizit seiner mangelnden Aufarbeitung wurde durch Holocaust besonders deutlich. Schüler und Lehrer veranstalteten antifaschistische Tage und Wochen. Schulverwaltungen verordneten daraufhin als Reaktion antikommunistische Tage. Der Buchmarkt wurde überschwemmt mit Antworten auf viele Fragen, die im Umfeld des Medienereignisses gestellt wurden. Filme und TV-Stücke entstanden in großer Zahl. Zum Teil knüpften sie unmittelbar in ihren Vermittlungs-Strategien an die Holocaust-Erfahrungen an, zum Teil waren sie konsequent dagegen konstruiert.
Das war 1979 und danach. Und 1982 und danach? - Es ist jetzt schon absehbar, daß die zweite Ausstrahlung von Holocaust keine Wiederholung des Medienereignisses von 1979 sein wird, geschweige denn eine Vertiefung und Steigerung. Es gibt viele Gründe dafür, hier die Hauptschuldigen:
Die Schwätzer: Vor vier Jahren konnte kaum jemand das Wort Holocaust aussprechen. Heute ist es in aller Munde. Aber das Wort hat seinen Inhalt verloren. Die Kulturindustrie und der politische Alltag haben ihn aufgesogen. Seine Bedeutung ist beliebig geworden. Überall werden neue Holocausts kreiert und gefunden: Holocaust in Kambodscha und im chinesischen Meer, der Kannibalen-Holocaust und der atomare Holocaust, Holocaust in Nicaragua oder in Südafrika... Und natürlich gibt es inzwischen auch den Holocaust an den Deutschen, gemeint sind die Luftangriffe auf Hamburg und Dresden und die "Blutbäder" unter den Deutschen in Bromberg und im Baltikum.
Die Journalisten: Vor der Erstsendung im Jahre 1979 rührten sie neun Monate lang täglich mehrmals die Trommel für Holocaust. Seit Bekanntgabe des Wiederholungstermins tun sie nichts. Noch etwa sechs Wochen vor der Sendung der ersten Folge weiß kaum jemand außerhalb der professionellen Kulturbetriebe über die anstehende Wiederholung Bescheid. Das wird sich sicher noch unmittelbar vor dem 14. November ändern. Aber die Chance zur längerfristigen Vorbereitung des Ereignisses ist bereits verspielt. Mit einem müden Achselzucken reagierten die meisten Redakteure auf Vorschläge zur publizistischen Begleitung der zweiten Ausstrahlung.
Staatsdiener, Politiker und die Reichen: Vor drei Jahren haben sie sich noch mächtig moralisch ins Zeug gelegt. Die Betroffenheit reichte vom Kleinaktionär und Lokalpolitiker bis hinauf in die höchsten Höhen der Finanz- und Staatsbürokratie. Das Wort von Ex-Bundeskanzler Schmidt ist noch in guter Erinnerung: "Eine Nation ist betroffen! "Alle waren damals bereit, Holocaust-Aktivisten unbürokratisch zu. finanzieren. Nichts davon 1982. Im Frühjahr schnorrten wir um einen Druckkostenzuschuß zur Veröffentlichung unserer Anatomie des internationalen Bestsellers. Etwa 80 Briefe gingen raus. Sie wurden beantwortet. Aber 75 negativ. Bundes- und Landesministerien, das Kanzleramt und der Bundespräsident, Senatsstellen, öffentliche und private Stiftungen, Bankenkonsortien, Medienmultis, Einzelgewerkschaften und viele andere, die ausreichend über Gelder verfügen, bedauerten.
Die öffentlich-rechtlichen Programmplaner: Den Erfolg von Holocaust in den USA haben die amerikanischen Fernsehanstalten mit Genugtuung und Bewunderung konstatiert. Er hat diese kommerziellen Unternehmen aber nicht veranlaßt, ihr Publikum mit Sendungen zum Holocaust zu überschwemmen.
Der Erfolg von Holocaust in der Bundesrepublik hat die Programmeinkäufer des WDR sicher mit Genugtuung erfüllt. Aber im Gegensatz zu den Amerikanern hat er die öffentlich-rechtlichen Programmplaner angespornt, mehr über den Holocaust ins Programm zu nehmen. Mit zweifelhaftem Erfolg: Das Jahr 1982 bringt eine Inflation von Sendungen zum Thema. Serien, Dokumentationen, Fernsehspiele und Filme.
Holocaust füllt siebeneinhalb von insgesamt 150 Programmstunden aus, die ARD und ZDF zusammen allein zwischen dem Oktober dieses und Februar nächsten Jahres an "specials", also an besonderen Einzelsendungen, im Programm haben. Zum Teil als Vorbereitung auf den 50. Jahrestag der Machtübergabe an die Nazis, der im Januar 1983 zelebriert werden soll.
Der Kulturfahrplan ist offensichtlich das einzige Instrument, das öffentlich-rechtliche Programmplaner kennen.
Holocaust - so steht zu befürchten - wird innerhalb des audiovisuellen Faschismus-Marathon weitgehend untergehen. Damit wird das Medienereignis um eine wesentliche Komponente kastriert. Ohne öffentliche Auseinandersetzung im Um feld der Sendung - es ist nur eine einzige Diskussion vorgesehen - kommt die aufklärerische Dimension der Kulturware kaum zum Tragen. Daran ändert auch die hervorragende Programmplazierung der vier Folgen nichts: im ersten Kanal und gleich nach der Tagesschau.
Dabei täte es not, die Zweitausstrahlung zum Anlaß nicht nur rückwärtsgewandter Aufarbeit ung deutscher Geschichte zu nehmen. In den letzten Jahren nach dem Faschismus-Bäuerchen der Nation haben sich die aktuellen Probleme eher verschärft, die im Zusammenhang mit Holocaust zu diskutieren sind: Die Identitätskrise von Kreuzberger Punks und ihren Edelablegern aus den Villenvierteln des Berliner Bürgertums mit gelben Davidsternen oder der Aufschrift "Jude" auf SS-schwarzem Leder in Täter- und Opfer-Pose, die Renaissance der Alt- und Neu-Faschisten mit ihrer zunehmenden Militanz und mörderischen Brutalität, der wachsende Haß gegen alles Fremde. Die neue Koalition in Bonn ist mit Maßnahmen zu verstärkter "Heimführung der ausländischen Arbeitnehmer" angetreten.
Und endlich hat man hierzulande mit den Massakern in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila auch den von vielen lange erwünschten Holocaust der Israelis. Die einstigen Opfer wurden zu Tätern! Ihr moralisches Recht auf Wiedergutmachung und politische Rücksichtnahme scheint nun endgültig verwirkt. Wie schnell ist man da wieder mit Verallgemeinerungen zur Hand, wo Differenzierung dringend notwendig wäre. Aus den Begins und Sharons werden alle Israelis. Von da ist es nicht mehr weit zu den Juden. Die Überlebenden und die Erben von Auschwitz als Täter eines zwar kleineren - aber immerhin doch noch - Holocaust! Das geht vielen im Lande der Mörder und Mitläufer, in dem die Widerständigen immer noch wie Aussätzige oder bestenfalls als moralische Unfälle behandelt werden, wenn sie nicht aus kirchlichen und Armeekreisen stammen, runter wie Sahne. Und es lenkt ab, von den Leichen in unseren Kellern und den Braunstellen in unserer Landschaft.
All das wäre im Anschluß an die Wiederholung von Holocaust zu diskutieren. Die Fernsehdiskussionen waren bei der Erstausstrahlung mindestens ebenso wichtig wie der Film, 7,1 Prozent der Zuschauer, die an die Fernsehanstalten schrieben, gingen auf den Film ein, 33,6 Prozent aber auf die anschließenden Diskussionen.
Aber diesen Anstoß wird es nicht wieder geben. Nicht, weil nur eine einzige Diskussionsrunde am Schluß vorgesehen ist, sondern weil das Konzept der Wiederholung eine Enthistorisierung im Sinne hatte, eine Mythisierung des historischen Holocaust- an sechs Millionen europäischer Juden. Programmchef Heinz Werner Hübner liefert dafür die Stichworte. Er nennt die Wiederholung "Holocaust II", was sehr makaber ist, und nennt als letzten und wichtigsten Grund für die Wiederholung: "Wer da meint, daß die Wiederholung, wie Holocaust überhaupt, eine Provokation sei, der sollte sich in seiner Meinung bestätigt fühlen, denn Holocaust ist in diesem Jahrhundert und darüber hinaus die immerwährende Erinnerung an das biblische Thema: Schuld und Sühne."


Seit mehr als vier Jahren beschäftigen sich die beiden Medienwissenschaftler Knilli und Zielinski (TU Berlin) mit der "Holocaust"-Serie und ihrer Wirkung. In diesem Herbst veröffentlichen sie darüber zwei Bücher: "An den WDR. Betrifft: 'Holocaust'" (Verlag Volker Spieß) und "Holocaust zur Unterhaltung" (Elefanten Press Verlag)