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Am 5. Juni 2004 wird im Kölner Bürgerzentrum ‚Alte Feuerwache' eine Konferenz stattfinden unter dem Titel "Stop The Wall - Internationale Konferenz für einen gerechten Frieden in Palästina und Israel". Getragen und ausgerichtet wird die Konferenz von einem Zusammenschluss deutscher, sich selbst so bezeichnender Solidaritätsgruppen. Auf den vier Panels der Konferenz werden so illustre Gäste sprechen wie der ehemalige CDU-Arbeitsminister Norbert Blüm und Moshe Zuckermann, Leiter des Instituts für Deutsche Geschichte an der Universität Tel-Aviv.

"Palästina, Dein Volk wird siegen..."

Auf den Internetseiten der Konferenz (www.freepalestine.de) und in der "Kölner Erklärung gegen die Apartheidsmauer" finden sich zahlreiche Hinweise auf die Menschenrechtsverletzungen und - viel schlimmer - Völkerrechtsverletzungen durch den vom Staat Israel geplanten Sicherheitszaun. Jeder differenzierter Leser und jede kritische Leserin vermisst den Hinweis auf die Ambivalenz des Zaunes, die Realität der Selbstmordattentate, die verschiedenen Motivationen und Gründe für und gegen den Zaun. Wer sich in der engen Gedankenwelt der "Stop the Wall"-Koalition wiederfindet, stellt fest: die Mauer wird gebaut, weil Israel die PalästinenserInnen, bzw. das palästinensische "Volk" demütigen und knechten will. Dagegen kämpfen das "mutige Volk" Palästinas und internationale, anständige Beobachter, die die Freiheit für das "unterdrückte Volk" möchten. So einfach kann die Welt sein, wenn deutsche Friedensfreunde sie erklären.

Basisbanalitäten zum israelischen Staat

Israel ist ein Nationalstaat und damit der inneren Logik von Ein- und Ausschlüssen eines jeden Nationalstaats unterworfen. Menschen werden unterschiedlich behandelt, je nachdem ob sie StaatsbürgerInnen sind oder nicht. Menschen haben unterschiedlichen Zugang zu Staatsbürgerrechten. Und unterschiedlichen Zugang zum Staatsgebiet. So weit, so schlecht, so normal für die aktuelle Verfassung dieser Welt, die sich innerhalb von Nationalstaaten organisiert. Zusätzlich ist Israel aber ein Staat, in den sich Juden aus der Diaspora geflüchtet haben - als Schutzgebiet vor Antisemitismus weltweit. Mit jedem Pogrom in Europa wuchs die Immigration nach Palästina, bis 1948 vor dem Eindruck der Shoa der Staat Israel gegründet wurde. Ein nicht geringer Teil der israelischen Bevölkerung ist dem deutschen Vernichtungsprogramm der Nationalsozialisten entkommen, andere fühlten sich nach der Shoa auch an anderen Orten als Minderheit nicht mehr geschützt.

Diese Menschen und alle anderen BewohnerInnen Israels haben ein Sicherheitsbedürfnis, ein Verlangen nach Schutz vor antisemitischen Übergriffen. Hier ist es wichtig zu erwähnen, dass auch der palästinensische Terror von Hamas und Konsorten sich antisemitisch begründet. Im Artikel 32 der Charta der Hamas werden die Quellen dieses eliminatorischen Antisemitismus benannt: "Das Programm der Zionisten wurde in den Protokollen der Weisen von Zion ausgebreitet und ihr gegenwärtiges Verhalten ist der beste Beweis für das, was dort gesagt wurde." In diesem Rekurs auf die berüchtigtste antisemitische Hetzfälschung begründet sich eine Terrorstrategie, die das Ziel hat, so viele jüdische ZivilistInnen wie möglich mit in den Tod zu reißen.
Diese Bedrohung, mit der Menschen in Israel konfrontiert sind, wird in den Verlautbarungen der "Stop the Wall"-Koalition schlicht nicht erwähnt. Ihr Sicherheitsbedürfnis wird ignoriert. Der Zaun mag auch andere Facetten haben, aber die Motivation, die sowohl von israelischen Linken, als auch der Armee genannt wird, nämlich der Schutz vor dem Terror, wird entweder gar nicht erwähnt oder abgetan mit dem Hinweis, dies werde "erneut Gegengewalt provozieren", wie es in der Kölner Erklärung zu "Stop the Wall" formuliert ist.


Am Deutschen Wesen....

In welchem Kontext sich die Konferenz bewegt wird aber spätestens klar, wenn mensch ein Blick wirft auf Panel 3: "Verantwortung Deutschlands und Europas im israelisch-palästinensischen Konflikt". Was im Titel schon durchklingt als deutschnationaler Griff nach mehr Souveränität und Weltgeltung, sieht en detail dann so aus:
Norbert Blüm, der in der Zeitschrift ‚Stern' der israelischen Regierung vorwarf, einen "Vernichtungskrieg" zu führen, wird dort diskutieren mit Felicia Langer, die sich darüber freut dass der Versuch Israels "die neue Intifada abzuwürgen" "ohne Erfolg" verbleibt. Moderiert wird das Ganze vom "Junge Welt"-Autor Rüdiger Göbel, der in seinen Artikeln zum Irak stets hämisch berichtet, wie die USA ihr zweites Vietnam erleben. Und so schließt sich dann auch der Kreis:
Wer, wie Norbert Blüm, Israel des "Vernichtungskriegs" und "Völkermords" beschuldigt, der spielt damit die Einzigartigkeit der deutschen Verbrechen herunter und etabliert seinen Sprechort - Deutschland - als demokratisch geläuterten, moralisch integren Platz, der dem Staat, der von denjenigen mitgegründet wurde, die dem deutschen Vernichtungsprogramm entkamen, Nachhilfelektionen in Menschenrechten erteilen kann. Ganz zu schweigen davon, dass diese Projektionen Norbert Blüms mit der Realität im Nahen Osten nichts gemein haben.
Felicia Langer spricht in Deutschland offen aus, was die meisten Deutschen hören wollen, nämlich, dass der Holocaust von Israel instrumentalisiert wird.
Und wo sich die beiden anderen um Reetablierung Deutschlands als normale Nation und verantwortungsbewusste Großmacht bemühen, weiß Rüdiger Göbel, wer die wahren Nazis sind. So kann mensch in seinen Artikeln lesen von der "Bush-Ermächtigung", davon, dass die Sanktionen gegen den Irak die "verheerendste »Massenvernichtungswaffe« des 20. Jahrhunderts" seien. Er landet so folgerichtig bei der Feststellung, "»USA raus« wäre (...) nicht nur eine Parole für die Demonstranten in Bagdad, sondern auch für die hiesige Friedensbewegung."

Es bleibt festzuhalten, die "Anti-Apartheids-Konferenz" trieft vor deutschnationalem Verantwortungsgefühl, einseitiger Parteinahme und Geschichtsrevisionismus. Das sollte niemanden wundern, denn schließlich haben wir es hier nicht mit antirassistischen Linken zu tun, die generell irritiert sind über Ungleichbehandlung von Menschen aufgrund ethnischer Zuschreibung. Uns sind die unterzeichnenden Gruppen nicht bekannt als bedingungslose Kritiker des europäischen Ausschlusses, des deutschen Lagersystems, der Abschiebeknäste oder des Asylbewerberleistungsgesetzes. Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) verhängte 1997 ein totales Arbeitsverbot für alle nach dem 15. Mai 1997 eingereisten Flüchtlinge. Weil wir ihnen ihren Antirassismus nicht abnehmen, stellen wir eigene Mutmaßungen an über die Motivationen der Beteiligten.

Entsorgung deutscher Geschichte - Joschka Walser und Norbert Möllemann

1999 hatte Joschka Fischer den ersten deutschen Angriffskrieg nach 1945 mit dem Motto "Nie wieder Ausschwitz" gerechtfertigt. Serbien - so waren sich Fischer, Scharping und die Bild-Zeitung einig - das war Auschwitz. Dieser Meilenstein in der Entledigung deutscher Geschichte auf dem Weg zur Kriegsnation und Normalisierung wird von Norbert Blüm konsequent weitergeführt. Nun dürfen also auch deutsche Politiker Israel, dem Staat der Überlebenden, Lektionen in Menschenrechten erteilen - wegen der besonderen deutschen Verantwortung qua Auschwitz.


Völkischer Antiimperialismus

Mit Norbert Blüm tummeln sich auf der UnterstützerInnenliste Gruppen aus dem Gruselkabinett des Antiimperialismus, z.B. der Duisburger "Initiativ e.V.". Dieser hat sich einen Namen gemacht mit seiner Beteiligung an der Kampagne "10 Euro für den Widerstand im Irak". Laut der Arbeiterkommunistischen Partei des Irak steht dieser "»Widerstand«, welcher hier von europäischen Gruppen und Einzelpersonen finanziell unterstützt werden soll, (...) für das nationalistisch-völkische und/oder politisch-islamische Lager, er steht für Reaktion, Brutalität und Unterdrückung, aber er steht nicht auf der Seite von Freiheit und Emanzipation, er kämpft nicht für die Sache der Menschen- und Frauenrechte."

Ein weiterer Unterstützer ist das International Solidarity Movement (ISM). Das ISM schickt internationale AktivistInnen in die palästinensischen Gebiete, um die Bevölkerung "durch ihre Anwesenheit zu schützen". Als "Friedensaktivisten" der ISM waren auch die zwei britischen Selbstmordattentäter Omar Khan Sharif und Mohammed Hanif getarnt, die bei dem Anschlag auf das Tel Aviver Café "Mike's Place" am 30. April 2003 drei Israelis getötet und mehr als fünfzig verletzt haben. Auf der Homepage der Organisation vermisst man jeglichen Hinweis darauf, jegliches Bedauern. Stattdessen schlägt sie sich für den Friedensnobelpreis vor.


Andere Skurrilitäten wurden von www.freepalestine.de inzwischen entfernt - so war bis Anfang Mai von der Seite der Konferenz ein so genanntes Palästina-Forum verlinkt, auf dem tränenreich der "Märtyrertod" des antisemitischen Hetzer Sheik Ahmad Yassin, der gelobten "Schlüsselfigur im Kampf gegen Israel", beklagt wurde.

"Mutiger" Terror?

Auf der letzen Konferenz des gleichen Vorbereitungskreises in Berlin war die von den Medien rezipierte Starrednerin Gretta Duisenberg, Frau des Präsidenten der europäischen Zentralbank. Die Palästinenser, so Duisenberg, die die Besetzung der Westbank durch Israel mit derjenigen der Niederlande durch Hitlers Truppen vergleicht, hätten sich in der zweiten Intifada Israels Versuch, "sich die restlichen 22 Prozent (Palästinas) auch noch einzuverleiben (...) mutig widersetzt, so wie jedes Volk das getan hätte." Mutiger Widerstand eines tapferen Volkes. Kein Wort von Hunderten gestorbenen israelischen Zivilisten. Der Autor Matthias Küntzel stellt dazu fest: "Während bisher gezielte Massaker an Zivilisten stets als faschistische Verbrechen angeprangert worden sind, hat im Falle Israels das Gros der europäischen Menschenrechtler und Friedensfreunde das Ungeheuerliche als selbstverständlich akzeptiert: Kühl kalkulierten Massenmorden an Juden wurde und wird Verständnis oder gar Sympathie entgegengebracht."

Dies ist eine Haltung die so symptomatisch ist für die Konferenz in Köln und ihr unendliches Verständnis gegenüber antisemitischen Mörderbanden, dass wir ihr kein gutes Gelingen wünschen.

Differenzieren, wo es sich lohnt

Warum schreiben wir nun dieses Flugblatt so wie wir es schreiben? Geht es uns um eine bedingungslose Verteidigung des Sicherheitszauns? Mitnichten. Wir sehen durchaus die Widersprüche und Ambivalenzen des Konfliktes und bewahren uns davor leichtfertig Position zu beziehen.
Mit einigen Ausnahmen: gegen Antisemitismus und gegen den sich immer öfter als Links verstehenden Antizionismus, von dem schon Jean Améry 1969 schrieb, das sich in ihm der Antisemitismus verberge, wie das Gewitter in der Wolke.
Alle Versuche, die historische Tatsache und Notwendigkeit des Zionismus zu leugnen bzw. seine Folgen revidieren zu wollen, sind ein offener Angriff auf das Existenzrecht Israels.

Wir bezweifeln, dass der Sicherheitszaun als repressives Instrument und physische Manifestation eines Ausschlusskriteriums Inbegriff emanzipatorischer Politik sein kann. Besonders sehen wir Probleme in seinem Verlauf. In diesem Flugblatt können und wollen wir jedoch nicht diese Diskussion aufmachen. Angesichts dessen, was uns von der Konferenz-Organisation an unverhohlenem Antizionismus vorgesetzt wird, lohnt es sich hier nicht zu differenzieren.


food not bombs - teilhaber der kölner dependance der gesellschaft für legalisierung

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